Hype Faszien – warum du nicht unbedingt rollen brauchst

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Der Einsatz einer Faszienrolle im Training verspricht viele Vorteile: mehr Beweglichkeit, entspanntere Muskeln, weniger Schmerzen, strafferes Bindegewebe, kürzere Regenerationszeiten und vieles mehr. Im Trainings- und Therapiekontext kommen sie entsprechend häufig zum Einsatz – egal, ob im Fitnessstudio, in der Crossfit Box, bei der Physiotherapie, im Rehazentrum oder im Profisport.

Doch was sind Faszien überhaupt? Was soll ein Ausrollen der Faszien bezwecken? Und welche Rolle spielt dein Zentrales Nervensystem (ZNS) dabei?

Faszien sind stark vereinfacht ein den gesamten Körper durchziehendes, aktives und formgebendes Netzwerk aus Bindegewebe, welches Muskeln, Knochen, Nerven, Blutgefäße und Organe umschließt und miteinander verbindet. Faszien sind sehr anpassungsfähig, verfügen über verschiedene Nervenenden und werden, wie alles im Körper, vom ZNS innerviert.

Unser ZNS – die höchste und alles steuernde Instanz des menschlichen Körpers – agiert immer nach dem selben Muster: es empfängt sensorische Informationen aus unserer Um- und Innenwelt, analysiert und interpretiert diese Informationen und reagiert entsprechend mit direkten Handlungen, die in erster Linie stets der unmittelbaren Sicherheit und dem eigenen Überleben dienen. Bewertet unser ZNS die aktuelle Lage auf Grundlage dieser Informationen als unsicher, wird es aus Sicherheitsgründen unsere Leistung und Bewegung einschränken. Bei einer sicheren Lagebewertung hingegen folgen keine Einschränkungen, denn: je sicherer das ZNS die aktuelle Lage bewertet, desto weniger Sicherheitsmaßnahmen sind „notwendig“. Ausgenommen von dieser Regel ist akute Lebensgefahr, in der alle Sicherheitseinschränkungen dem Überleben untergeordnet werden.

Typische Sicherheitsmaßnahmen des ZNS sind Schmerzen, Beweglichkeitseinschränkungen, Verspannungen, Leistungseinbußen etc.

Wie alle anderen Nervenenden im Körper liefern die Nervenenden in den Faszien dem ZNS non-stop Informationen über die jeweiligen Bereiche im Körper. Das ZNS interpretiert und wertet diese Informationen aus und entscheidet entsprechend und unmittelbar über Spannungszustände, Bewegungsqualität, Aktivitäts- und Schmerzlevel etc. – und das auch hinsichtlich der Faszien selbst.

Das ZNS entscheidet ebenso über den Spannungszustand und die Gleiteigenschaft der Faszien – die Faszie entscheidet also nicht selbst, ob sie „verspannt“ ist oder schmerzt oder in ihrer Bewegung eingeschränkt ist. Aber Achtung: die Informationen aus den lokalen Nervenenden der Faszie können zwar eine Rolle spielen, müssen sie aber nicht, da das ZNS seine unmittelbaren Entscheidungen auf Basis aller eingehenden Informationen trifft – wie oben beschrieben, aus allen Bereichen unserer Innenwelt und auch aus unserer Umwelt.

Faszientraining, das in der Regel mit einer Faszienrolle durchgeführt wird, zielt grundsätzlich auf eine Reduktion der Spannung der die Muskeln umgebenden Faszien sowie auf eine Verbesserung der Gleiteigenschaft dieser Faszien ab, um Schmerzen und Verspannungen zu reduzieren und Bewegungen zu optimieren. Weniger Spannung führt automatisch auch zu mehr Beweglichkeit. Durch das Ausrollen eingeschränkter oder verspannter Körperpartien werden u.a. die Nervenenden der Faszien aktiviert und dadurch zusätzliche Informationen der Faszien an das ZNS geliefert.

Wenn diese zusätzlichen Informationen zu einer Verbesserung der Beurteilung der Gesamtsituation durch das ZNS führen, kann das ZNS entscheiden, Schmerzen und Verspannungen etc. zu reduzieren. Hier hätten wir das gewünschte positive Ergebnis des Faszientrainings mit der Faszienrolle.

Wenn die zusätzlichen Informationen vom ZNS jedoch als nicht relevant für die vorliegende Einschränkung bewertet werden, ist ein weiteres Training mit der Faszienrolle reine Zeitverschwendung, da der zusätzliche Stimulus zu keiner positiven Veränderung beiträgt! Im schlimmsten Fall können die zusätzlichen Informationen sogar zu einer Verschlechterung der Beurteilung der Gesamtsituation durch das ZNS führen – weitere Schmerzen, Verspannungen etc. wären die Folge.

Faszien liefern letztendlich wie jedes andere Gewebe im Körper auch u.a. über ihre Nervenenden Informationen an unser Zentrales Nervensystem – und wie aus allen anderen Bereichen des Körpers, stellen diese Informationen am Ende einen Teil des entscheidenden Gesamtbildes dar.

Ein blinder und unreflektierter Einsatz der Faszienrolle kann demnach Probleme verstärken oder sogar neue aufkommen lassen, statt die gewünschten Effekte zu erzeugen. Ob der Einsatz der Faszienrolle förderlich ist oder nicht, muss daher stets individuell getestet und entschieden werden – zur direkten Beurteilung dessen eignen sich am besten Neuro-Self-Assessments.

Also: train smart!

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Quellen:

Ahlhorn, A. & Krämer, D. (2016): Flossing in Therapie und Training. München: Riva Verlag.
Bulter, D. & Mosley, L. (2016): Schmerzen verstehen (3. Auflage). Berlin: Springer Verlag.
Cobb, W. E. (2016): Certification Workbook – Z-Health T-Phase 6.0.
Garland, E. (2013): Pain Processing in the Human Nervous System: A Selective Review of Nociceptive and Biobehavioral Pathways. Zugriff am 19.09.2018 unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3438523/.
Louw, A. (2013): Why do I hurt? Neuroscience education for patients in pain. Minneapolis: OPTP.
Myers, T. W. (2010): Anatomy Trains. Myofasziale Leitbahnen (2. Auflage). München: Urban & Fischer Verlag.
Schleip, R. & Bayer, J. (2014): Faszien-Fitness: Vital, elastisch, dynamisch in Sport und Alltag. München: Riva Verlag.