Assessment und Re-Assessment: Wie lange hält der Fortschritt an?
Aug 04, 2025In der Therapie- und Trainingswelt erleben wir es regelmäßig: Eine Bewegung schmerzt, ist eingeschränkt oder fühlt sich einfach "nicht richtig" an. Dann kommt ein gezielter Stimulus – manuell, durch Bewegung oder durch andere Interventionen – und plötzlich ist der Schmerz reduziert, die Range of Motion erweitert, die Bewegung fühlt sich besser an. Der Effekt ist unmittelbar. Aber die zentrale Frage lautet: Wie lange hält das an?
Die Wirkung vieler therapeutischer oder trainingsbezogener Reize ist oft beeindruckend schnell sichtbar. Innerhalb weniger Minuten kann eine tiefere Kniebeuge, eine verbesserte Rumpfbeuge oder eine schmerzfreie Schulterbewegung möglich sein. Doch dieser neue Zustand ist zunächst nicht stabil – er ist eine Art "Snapshot" dessen, was möglich ist, wenn das Nervensystem in diesem Moment Sicherheit empfindet. Denn genau darum geht es: Sicherheit.
Das Nervensystem bewertet in jeder Sekunde neu, ob eine Bewegung oder Position potenziell gefährlich oder sicher ist. Schmerz, Spannung oder Bewegungseinschränkungen sind Ausdruck eines Schutzmechanismus, nicht zwingend ein Zeichen von Gewebeschaden. Und wenn ein Reiz – z. B. eine manuelle Technik, ein Atemmuster, eine Bewegungsabfolge – das System davon überzeugt, dass eine Lage oder Bewegung sicher ist, dann lässt es kurzfristig mehr zu: mehr Beweglichkeit, weniger Schmerz, bessere Kontrolle. Aber: Das ist noch nicht gelernt.
Dieser neue, verbesserte Zustand ist wie eine erste Begegnung mit einer neuen Fähigkeit. Das Nervensystem "kennt" sie nun – aber es hat sie noch nicht gelernt. Und alles, was nicht gelernt ist, verschwindet wieder. In Minuten, manchmal in Stunden. Das System kehrt zum Ursprungszustand zurück – es sei denn, wir helfen ihm, den neuen Zustand als verlässlich abzuspeichern. Und hier kommt die Bedeutung von Training, Wiederholung und Kontext ins Spiel.
Wir müssen den verbesserten Zustand verstärken, stabilisieren, abspeichern. Das geschieht durch Volumen, durch Bewegung im Alltag, durch Training – durch Lernen. Jede Intervention, so wirksam sie auch in der Einzelanwendung ist, bleibt eine Momentaufnahme, solange sie nicht integriert wird.
Die gute Nachricht: Wenn wir nach einer Intervention testen – also ein Re-Assessment durchführen – und sehen, dass Schmerz reduziert und Bewegung verbessert ist, dann wissen wir: Der Reiz war zielführend. Wir haben das System ansprechbar gemacht. Jetzt kommt der entscheidende Teil: Festigung. Assessment und Re-Assessment sind nicht nur Tools zur Evaluation, sondern Mittel der Kommunikation mit dem Nervensystem. Wir fragen: "Fühlt sich diese Bewegung sicherer an als vorher?" Und das System antwortet – mit mehr oder weniger Beweglichkeit, Schmerz oder Kontrolle.
Wir arbeiten also nicht primär an der Bewegung selbst, sondern nutzen sie als Messinstrument. Der eigentliche Trainingsprozess beginnt nach dem Assessment – wenn wir wissen, welcher Reiz Wirkung zeigt, welcher Stimulus das System öffnet.
Halten wir fest: Was wirkt, muss gelernt werden. Jede kurzfristige Veränderung ist eine Chance, keine Garantie. Was wir durch gezielte Reize kurzfristig verbessern können, müssen wir über bewusste Wiederholung und strukturiertes Training langfristig im System verankern. Die Frage ist also nicht nur "Was wirkt?", sondern auch: "Wie bringe ich das nachhaltig ins System?"
Viel Erfolg beim Training!
Yassin & Team
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